Ein schiefes Stadtbild geraderücken. Potenziale und Probleme von Städten in der Einwanderungsgesellschaft

Bundeskanzler Merz hat kürzlich erklärt, wir hätten Probleme mit unserem „Stadtbild“, und dem würde man nun endlich mit Rückführungen (von Migrantinnen und Migranten) „in großem Umfang“ begegnen. Für diese zweifelsohne unglücklichen Aussage ist er von vielen Seiten kritisiert worden.

Was er im Kern meinte, hat er später erläutert, nämlich dass sich Menschen ohne dauerhaften Aufenthaltsstatus, die nicht arbeiten und sich nicht an Regeln halten, im öffentlichen Raum aufhalten und damit Ängste auslösen. Der Bundeskanzler verweist also auf ein durchaus wahrnehmbares Phänomen, dass es mancherorts viele Menschen gibt, die, womöglich weil sie keiner Arbeit nachgehen (dürfen) oder in schwierigen Wohnverhältnissen leben, in Gruppen im öffentlichen Raum anzutreffen sind. Zur Kenntnis zu nehmen ist, dass Menschen als Reaktion darauf Ängste auch vor Zuwanderung entwickeln, weil sie annehmen, dass dies zu Problemen, wie z. B. einer erhöhten Kriminalität, führt. Dass der Zusammenhang von Migration und Kriminalität so einfach nicht ist, ist im Empfinden von Menschen erstmal zweitrangig.

Ärgerlich ist, dass durch diese Stadtbilddebatte der Blick auf die wesentlichen Probleme aber eher verstellt wird: Wir nutzen bei Weitem nicht die Chance, die unsere Städte eröffnen, und das liegt nicht an der Zuwanderung, sondern an fehlender Integration und überbordendem Populismus. Grundlage für den Erfolg der „europäischen Stadt“ ist seit Jahrhunderten Vielfalt, sowohl, was die Mischung von Nutzungen und Möglichkeiten betrifft, als auch, was Herkunft und die Professionen der Städterinnen und Städter angeht. Durch die (relative) Freiheit entstanden Innovationen, ökonomische Gelegenheiten und Wohlstand.

Dieser Fortschrittmotor gerät ins Stocken, weil die Vielfalt in den Städten nicht im ausreichenden Maße produktiv genutzt und sie zunehmend als Problem adressiert wird. Dabei sind es nicht ganze Städte oder „Stadtbilder“, in denen die Folgen mangelhafter Integration und Armut sichtbar werden, sondern es geht um einzelne Plätze, Stadtteile oder „überforderte Quartiere“, wo sich soziale Probleme überlagern. Das ist kein Zufall, denn aufgrund völlig überforderter und unterfinanzierter Kommunen und gleichzeitig schwindender Ehrenamtspotenziale sind dortige Hilfesysteme überlastet. Populistische und sensationsgierige Berichterstattung verstärken oft noch den Rückzug etablierter und (ehemals) engagierter Menschen. Und eine manchmal euphemistisch als Toleranz gedeutete Hilflosigkeit gegenüber offenkundigen Straftaten oder regelwidrigem Verhalten schafft eben dafür neue Freiräume.

Dies ist aber nicht auf die zugewanderten Menschen zurückzuführen. Es ist eine Form des empfundenen Staatsversagens im Kleinen: vor Ort im eigenen Quartier. Zu geringe Handlungsspielräume der Kommunen, mittlerweile nahezu flächendeckend angespannte Wohnungsmärkte und der viel zu lange dauernde verweigerte Arbeitszugang für Zugewanderte sind die Treiber lokaler Problemlagen. Sie blockieren die Chancen, die Städte für alle bieten. Das Stadtbild kann also durchaus verbessert werden, aber dafür brauchen Menschen und Städte die Chance dazu, Maßnahmen zu treffen, gerahmt von einer Politik, die eine bessere Zukunft für alle ermöglicht. Darauf hinzuarbeiten wäre eine europäische Antwort auf die Debatte und passt damit zu uns allen.

Prof. Dr. Torsten Bölting (EBZ Business School, InWIS), Prof. Dr. habil. Sebastian Kurtenbach (FH Münster / Ruhr-Universität Bochum).

Aktuelle Informationen zu „überforderten Quartieren“ bietet die gleichnamige InWIS-Studie: Überforderte Quartiere: Engagement – Auswege – Lösungen


Ein Interview zu diesem Thema ist auch bei WAZ-Online erschienen:
https://www.waz.de/lokales/bochum/article410322973/bochumer-professoren-zuwanderer-muessen-auch-arbeiten-duerfen.html (kostenpflichtig)